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Interview mit Julia Baltes, flutgeschädigte Weingutsbesitzerin an der Ahr

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe an der Ahr spreche ich mit der bekannten Weingutsbesitzerin Julia Baltes aus Dernau über die Lage an der Ahr, über Hoffnungen, über enttäuschte Erwartungen und über sehr viel Optimismus und wohl auch Dankbarkeit.

Rudolf NickenigWie geht es Dir persönlich und Deiner Familie ein Jahr nach der Flut?

Julia Baltes: Uns geht es nach einem Jahr der Flut den Umständen entsprechend ganz gut. Wir sind zufrieden, dass weder unsere Familie, die Mitglieder unseres Teams, noch Freunde gesundheitlichen Schaden davon getragen haben oder ganz fehlen. Das können viele andere an der Ahr leider nicht sagen. Insoweit sind wir froh und dankbar, dass wir uns gesund an den Wiederaufbau machen können. Wir leben nach wie vor auf einer Baustelle, meine Eltern wohnen noch in der Ferienwohnung, meine Schwiegereltern in einem tiny-house. Wir sind also noch weit weg von der Normalität. Aber wir sind sehr positiv eingestellt und arbeiten Tag für Tag daran, wieder mehr Normalität zu gewinnen.      

Rudolf Nickenig: Du hast die Situation Deiner Kolleginnen und Kollegen angesprochen. Wie ist die Stimmung unter der Winzerschaft in Dernau und an der Ahr?

Julia Baltes: Soweit ich das übersehe, ist die Stimmung in der Winzerschaft an der Ahr überwiegend von Optimismus und Aufbauwillen geprägt. Einschränkend muss ich hinzufügen, dass man sich im Kreis der Kollegen und Kolleginnen nicht so häufig trifft wie vor der Flut. Denn es finden keine gemeinsamen Veranstaltungen statt, bei denen man sich früher intensiv austauschen konnte. Wir sind alle mit unseren Gedanken und mit unserem Tun beim neuen Jahrgang, der heranwächst und uns alle fordert. Reben fragen nicht danach, was auf der Baustelle zu tun ist, sondern sie wachsen und gedeihen und wollen gepflegt und gehegt werden.

Rudolf Nickenig: Du bist schon beim Jahrgang 2022. Lass uns nochmals einen Blick zurück werfen. Wie entwickelt sich der Jahrgang 2021 - wie groß waren die Einbußen?

Julia Baltes: Wir sind sehr zufrieden mit den Qualitäten, die wir ernten konnten. Allerdings waren die mengenmäßigen Einbußen in unserem Betrieb sehr, sehr groß. Es ist kein Geheimnis, dass im letzten Jahr die Peronospora in vielen Gebieten eine große Herausforderung darstellte, insbesondere für die ökologisch wirtschaftenden Betriebe, zu denen wir zählen. Eine Ursache waren die Starkregenereignisse, die an der Ahr zur Flutkatastrophe führten, und in den Weinbergen einen enormen Pilzdruck erzeugten. Daher wären ein rechtzeitiger Pflanzenschutz und umfangreiche Laubarbeiten erforderlich gewesen, was unter den gegebenen Umständen nicht zu leisten war. Wir sind ja zum Glück vor der absoluten Katastrophe durch den unglaublichen Einsatz vieler Winzerinnen und Winzer aus anderen Weinbaugebieten gerettet worden. Trotzdem müssen wir in unserem Betrieb schätzungsweise einen mengenmäßigen Verlust von 60 bis 70 % verkraften.

Rudolf Nickenig: Wie entwickelt sich der Absatz, vor allem bei den Betrieben, die keine nationale Distribution hatten und überwiegend ihre Weine im Ahrtal (Vinotheken, Straußwirtschaften, Gastronomie ...) verkauft hatten, nachdem der Tourismus zusammengebrochen war?

Julia Baltes: Dazu kann ich aus unserer betrieblichen Sicht sehr wenig sagen. Denn unser Verkauf ist seit Oktober letzten Jahres geschlossen. Der Grund? Wir sind ein Rotweingut und haben 90 % unserer Flaschenweine aus dem Jahrgang 2019 und auch 90 % der Fassweine des Jahrgangs 2020 durch die Flut verloren. Deshalb werden wir vermutlich erst im kommenden Frühjahr wieder mit dem Verkauf starten können, wenn wir den 2021er Jahrgang abgefüllt haben. Die Rotweine liegen bei uns immer 18 Monate im Fass.

Soweit ich es von den Kolleginnen und Kollegen mitbekommen habe, ist die Betroffenheit insgesamt groß, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Viele verhalten sich noch zögerlich oder müssen neue Absatzwege suchen. Denn im Ahrtal ist insgesamt deutlich weniger los. Es fehlt an Touristen. Viele traditionelle Ahrtalgäste wollen sich nicht wie neugierige Katastrophen-Touristen verhalten und bleiben noch weg. Deshalb ist es schwer für Straußwirtschaften und für die Gastronomie. Es muss nach neuen Absatzwegen gesucht werden. Erfreulich ist jedoch festzuhalten, dass viele Weinkonsumenten aus ganz Deutschland eine sehr große Solidarität zu den Ahrweinbetrieben demonstrieren.

Rudolf Nickenig: Anlässlich des Jahrestags war viel Unmut von dem Menschen an der Ahr zu hören, weil die großen politischen Versprechungen nicht eingehalten wurden und die staatlichen Hilfen so schleppend eintreffen. Sind die versprochenen unbürokratischen Hilfen des Staates bei den Winzern angekommen?

Julia Baltes: Unbürokratische Hilfen sind offen gesagt nicht angekommen. Unbürokratisch scheint in Deutschland gar nichts zu gehen, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Aber es sind bemerkenswert viele private Hilfen angekommen. Hierfür sind wir sehr dankbar. Trotz aller berechtigten Kritik an den staatlichen Hilfsmaßnahmen muss ich auch sagen, dass wir dankbar sein müssen, in einem Staat zu leben, der bis zu 80 % der Schäden übernehmen will, was vermutlich nur in wenigen Ländern der Welt möglich wäre. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Wir bleiben optimistisch, dass irgendwann die staatlichen Hilfen ankommen werden.

Rudolf Nickenig: Ich weiß nicht, ob ich diese Geduld hätte. Fast letzte Frage: Was ist von den Hoffnungen, von den Visionen übrig geblieben? Was wird sich ändern im Weinbau an der Ahr?

Julia Baltes: In unserem Betrieb verfolgen wir weiter das Ziel, einen nachhaltigen, einen zertifizierten ökologischen Weinbau erfolgreich zu praktizieren, damit hatten wir ja bereits vor der Flut begonnen. Überbetrieblich betrachtet: Trotz aller Probleme bleibt der Weinbau eine wichtige Konstante beim Wiederaufbau an der Ahr, denn die steilen Weinbergshänge sind ja nicht weggeschwemmt worden, sondern es fehlen nur einige Flächen in den Tallagen. Meines Erachtens werden die Umbrüche in der Gastronomie und Hotellerie größer als im Weinbau sein.

Rudolf Nickenig: Das bringt mich zur Schlussfrage: Wie sieht es aktuell in den Weinbergen aus? Gibt es Hoffnung auf ein gutes Jahr?

Julia Baltes: Wir hatten einen guten Austrieb, keine Probleme mit dem Frost, wir hatten keinen besonders erhöhten Pilzdruck. Die Weinberge stehen sehr gesund da, denn erfreulicherweise gab es auch immer wieder einige Niederschläge. Allerdings könnten wir statt der großen Hitzewelle zeitnah wieder etwas Regen gebrauchen. Es wird ein sehr frühes Weinjahr werden. Es sieht im Augenblick nach Topqualitäten aus. Deshalb stimmt uns der Stand der Weinberge sehr positiv.

Rudolf Nickenig: Liebe Julia, habe ich vergessen ein wichtiges Thema anzusprechen?

Julia Baltes: Was noch gesagt werden sollte: Wir werden nicht müde, ein großes Dankeschön an alle Helferinnen und Helfer, an alle Spenderinnen und Spender, an alle, die dem Ahrtal verbunden sind, zu sagen. Die gezeigte Solidarität verursacht bei mir immer noch eine Gänsehaut. Es tut gut zu wissen, dass dies in Deutschland möglich ist. Ich hoffe nicht, dass es in absehbarer Zeit zu einer vergleichbaren Katastrophe in Deutschland kommt. Aber wir hoffen, dass wir bei irgendeiner Gelegenheit ein Stück von der Hilfe zurückgeben können, die wir erfahren durften.

Rudolf Nickenig: Jetzt habe ich Gänsehaut. Danke für Deine offenen Worte. 

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